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Im Fluss der Bewegung – Zwischen Anspannung und Loslassen

Bewegung als Lebensfluss

Manchmal tanzt das Leben leicht, manchmal kämpft es gegen den Strom. Wir alle kennen Momente, in denen alles „fließt“ – Entscheidungen fallen mühelos, Begegnungen geschehen wie von selbst. Und dann gibt es Phasen, in denen wir stagnieren, festhalten, zögern.

Im Tanz wie im Leben ist Fluss die Kraft, die zwischen Spannung und Entspannung, Kontrolle und Hingabe vermittelt. Rudolf von Laban und die Psychoanalytikerin Judith Kestenberg haben diesen Fluss tiefgehend erforscht – als Bewegungsqualität, aber auch als seelische Metapher.


Bewegungsfluss nach Rudolf Laban

Fluss – mehr als Bewegung

Im Tanz beschreibt Fluss nicht nur, wie wir uns bewegen, sondern auch, wie wir das Leben selbst erleben: etwa frei und ungebunden oder gebremst und zurückhaltend. Im Gegensatz zu den klaren Antrieben Zeit, Raum und Kraft ist der Fluss subtiler – er spiegelt innere Emotionen und Stimmungen wider, die oft jenseits von Worten liegen.

Laban und Kestenberg erkannten, dass Fluss das Bindeglied ist zwischen dem, was wir fühlen, und dem, wie wir uns ausdrücken. Wenn wir uns mit unserem Fluss verbinden, können wir Altes loslassen, Blockaden auflösen und Platz für Neues schaffen. In Momenten des Übergangs, wenn Entscheidungen anstehen und Orientierung gefragt ist, wird der Fluss zur Metapher für Veränderung und Wachstum: Er lädt uns ein, in Bewegung zu bleiben, Widerstände zu spüren und dennoch voranzugehen.


Von Laban zu Kestenberg – Spannungsflusseigenschaften

Judith Kestenberg, Kinderärztin, Psychoanalytikerin und Schülerin Labans, entwickelte in den 1970er Jahren die Kestenberg Movement Profile (KMP). Sie erforschte, wie Bewegung und Emotion von Geburt an miteinander verbunden sind und wie Spannungsflusseigenschaften Rückschlüsse auf frühe Beziehungserfahrungen zulassen.

Schon Säuglinge drücken über Bewegung ihre Bedürfnisse und Gefühle aus – durch Strampeln, Greifen, Anspannen, Loslassen. Diese frühen Muster prägen unser Verhältnis zu Kontrolle, Hingabe und Vertrauen – und finden im Tanz ihren Ausdruck wieder.

Dabei werden zwei zentrale Formen des Flusses unterschieden:

  • Gebundener Fluss: kontrolliert, vorsichtig, zurückhaltend

  • Freier Fluss: ungehemmt, offen, impulsiv

Beide Qualitäten sind wichtig. Das Leben tanzt zwischen ihnen – wie Ebbe und Flut.

(vgl. Kestenberg, J. S. (1999): The Meaning of Movement: Developmental and Clinical Perspectives of the Kestenberg Movement Profile, New York: Brunner/Mazel.)


Der Fluss als Spiegel von Übergängen

Übergänge – ob klein oder lebensverändernd – sind immer Phasen des Wandels.

In der Tanztherapie wird dieser Zustand oft sichtbar. Ein Mensch, der sich nicht traut loszulassen, hält körperlich Spannung. Ein anderer, der im freien Fluss versinkt, verliert manchmal Halt.

Der Tanz bietet hier einen einzigartigen Erfahrungsraum: Durch Bewegung kann man beides spüren und balancieren – Kontrolle und Hingabe, Struktur und Freiheit. Das bewusste Spiel mit Flussqualitäten wird so zu einer Metapher für Entscheidungsprozesse, Loslassen und innere Reifung.


Zwischen Anspannung und Loslassen

Nach Kestenberg ist Spannung ein natürlicher Bestandteil des Lebens. Sie ist von Geburt an da – ein Zeichen von Lebendigkeit. Erst durch das Wechselspiel zwischen Anspannung und Entspannung entsteht Entwicklung.

In der Tanztherapie bedeutet das: Nicht das „Loslassen“ allein ist das Ziel, sondern das bewusste Erleben des Rhythmus zwischen beidem. Denn dort, wo wir die Spannung akzeptieren, kann der Fluss wieder einsetzen.

Oder, um es mit einem Augenzwinkern zu sagen:

Wer immer nur loslässt, verliert vielleicht den Boden – wer nie loslässt, verpasst das freie Tanzen.

Tanz als innere Landkarte

Fluss ist die Qualität, die uns lehrt, Übergänge zu gestalten und Emotionen zu spüren, anstatt sie zu fürchten. Im Tanz können wir erforschen, wie wir mit Druck umgehen, wie wir halten, wann wir loslassen – und welche Bewegungen uns in Balance bringen. Dadurch wird Tanztherapie zu einer Form des inneren Navigierens: Wir spüren, wann wir festhalten müssen – und wann wir fließen dürfen.

In Bewegung erkennen wir, dass das Leben selbst ein Tanz ist – zwischen Kontrolle und Vertrauen, Spannung und Hingabe.

Ansatz in all unseren Angeboten

Im Zentrum für Ausdruckstanz und Tanztherapie Graz orientieren wir uns häufig an den Prinzipien von Rudolf Laban und Judith Kestenberg. Dieses Fundament durchzieht alle unsere Angebote: von der Tanztherapie über Tanztheater-Kurse und Seminare bis hin zu unseren Aus- und Weiterbildungen.

Wir sind überzeugt: Die Arbeit nach Laban und Kestenberg eröffnet ein tiefes Verständnis für Bewegung, Ausdruck und innere Prozesse. Sie unterstützt die Entwicklung von Kreativität, fördert die Selbstwahrnehmung auf psychophysischer Ebene und ermöglicht einen direkten Zugang zu emotionalen und sozialen Dynamiken.

Durch diese methodische Grundlage wird Tanz zu weit mehr als Technik oder Kunstform: Er wird zu einem Instrument der Selbsterkenntnis, der Heilung und der kreativen Entfaltung.

 
 
 

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