Authentic Movement - und die Anwendung in der Tanztherapie
- Teresa Fritsch
- 16. Juni
- 3 Min. Lesezeit
Wenn Bewegung aus der Stille entsteht
Es gibt Momente, da bewegt sich etwas in uns, bevor wir verstehen, was es ist. Ein Zucken in der Hand, ein Atemzug, der stockt, ein Impuls, sich zu drehen, zu strecken, zu weinen, zu lachen. Authentic Movement lädt genau diese leisen, spontanen Impulse ein – ohne sie zu bewerten oder zu kontrollieren. Es ist eine Praxis der achtsamen Selbsterforschung, bei der Bewegung aus dem Inneren entsteht und der Körper selbst zum Lehrenden wird.
Dabei geschieht etwas scheinbar Einfaches: Man schließt die Augen, lauscht nach innen – und lässt sich bewegen. Kein Plan, keine Choreografie, keine Musik. Nur du, dein Atem, dein Körper, dein Inneres.
Das Ergebnis? Bewegungen, die echt sind. Und manchmal überraschend heilsam.

Der Ursprung: Ein Raum für Wahrhaftigkeit
Authentic Movement hat seine Wurzeln in den 1950er-Jahren, - als Begründerin gilt Mary Starks Whitehouse, einer Tänzerin und Pionierin der Tanztherapie. Sie verband ihre Erfahrung aus dem Ausdruckstanz mit tiefenpsychologischen Ansätzen nach C. G. Jung und hatte das Ziel, einen Raum zu schaffen, in dem Bewegung nicht „gemacht“ wird, sondern entsteht. Bewegung als Ausdruck unbewusster Prozesse, als Dialog zwischen Körper und Seele.
Whitehouse nannte dies „Movement in depth“ – Bewegung aus der Tiefe. Und genau darum geht es bis heute: um Authentizität, um die Erfahrung des inneren Erlebens durch äußere Bewegung*.
Mover and Witness – eine besondere Beziehung
Im Zentrum der Methode steht die Begegnung zwischen zwei Rollen: Mover (die sich bewegende Person) und Witness (Zeug:in oder Begleiter:in). Während der Mover mit geschlossenen Augen den eigenen inneren Impulsen folgt, beobachtet der Witness in achtsamer Präsenz – ohne zu urteilen, zu interpretieren oder einzugreifen.
Diese Haltung des „Nicht-Tuns“ ist vielleicht der schwierigste Teil. Denn der Witness sieht und fühlt, ohne zu bewerten. Er oder sie bezeugt das Geschehen, hält den Raum, schafft Sicherheit – und ermöglicht dadurch Tiefe.
Man könnte sagen: Der Mover bewegt sich nach innen, der Witness nach außen – und beide tanzen in unsichtbarer Beziehung miteinander.
Nach der Bewegungsphase findet meist ein Austausch statt: Was habe ich erlebt? Was hat der/die Zeug:in wahrgenommen? So entsteht ein feinfühliger Dialog zwischen innerem Erleben und äußerem Spiegel, zwischen Bewegung und Bewusstsein.
In der Tanztherapie: Bewegte Selbsterkenntnis
In der tanztherapeutischen Praxis ist Authentic Movement ein wertvolles Werkzeug zur Selbstreflexion, zur emotionalen Klärung und zur Integration innerer Anteile. Es bietet Raum, das Unbewusste durch Bewegung sichtbar zu machen – ohne Worte, aber mit tiefem Erleben.
Klient:innen erfahren durch diese Arbeit häufig:
eine größere Achtsamkeit für Körperempfindungen,
Selbstakzeptanz im Erleben von Gefühlen,
und ein Gefühl von Verbindung – zu sich selbst und zu anderen.
Authentic Movement öffnet Tore zu inneren Bildern, Erinnerungen und Emotionen, die im Alltag oft verborgen bleiben. Es schafft Bewusstsein – nicht durch Analyse, sondern durch Erfahrung. Und manchmal reicht eine einzelne Bewegung, ein Zittern, ein Atemzug, um zu spüren: Da bin ich.
Zwischen Vertrauen und Loslassen
Wer Authentic Movement praktiziert, übt Vertrauen – in sich, in den Körper, in den Moment. Es gibt kein „richtig“ oder „falsch“, kein Ziel, keinen Beweis. Nur das Hier und Jetzt, die Bewegung, die entsteht.
Das kann anfangs herausfordernd sein – besonders für Menschen, die gewohnt sind, Leistung zu zeigen oder Kontrolle zu behalten. Aber gerade darin liegt die Kraft dieser Praxis: Loslassen und sich selbst begegnen, jenseits von Rollen, Mustern und Erwartungen.
Der stille Zauber: Warum Authentic Movement berührt
Das Besondere an Authentic Movement ist seine Schlichtheit. Kein Konzept, kein Aufwand – nur Präsenz. Und doch entsteht in diesem simplen Rahmen oft etwas zutiefst Berührendes: das Gefühl, gesehen zu werden, wie man ist.
Für viele Menschen ist das eine neue, manchmal lebensverändernde Erfahrung. Denn im authentischen Bewegtsein steckt eine Wahrheit, die keine Worte braucht – nur Raum.
Authentic Movement ist keine Technik, sondern eine Haltung des Lauschen-Lassens. Sie führt uns zu einer Beziehung mit uns selbst, in der wir die Sprache des Körpers wieder verstehen lernen.
In der Tanztherapie öffnet sie Türen, die kein Gespräch allein öffnen kann. Sie verbindet – Körper, Geist und Seele. Und sie erinnert uns daran, dass alles, was in uns lebt, sich bewegen darf.



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