Flügel der Kreativität – Labans Bewegungsstudien im Tanz
- Teresa Fritsch
- 29. Juni
- 3 Min. Lesezeit
Wenn Bewegung Denken wird – und Denken tanzt
Rudolf von Laban (1879–1958) gilt als einer der großen Pioniere des modernen Tanzes. Er war Forscher, Pädagoge, Philosoph – und ein leidenschaftlicher Entdecker der menschlichen Bewegung. Sein Anliegen: zu verstehen, wie Bewegung durch eine eigene Sprache beschrieben werden kann.
Er betrachtete den Körper als Instrument der Erkenntnis – und Bewegung als Sprache, mit der der Mensch sich selbst und die Welt erforscht. Seine Bewegungsstudien bilden bis heute eine der wichtigsten Grundlagen sowohl des modernen Tanzes als auch der Tanztherapie.
„Der Mensch ist ein sich bewegendes Wesen – und Bewegung ist der Schlüssel zu seinem innersten Sein.“– Rudolf von Laban (frei nach Rudolf von Laban, in: Laban & Lawrence, 1947)

Zeit, Raum, Kraft und Fluss – die vier Dimensionen der Bewegung
Laban entwickelte eine umfassende Bewegungsanalyse, die sogenannte Laban Movement Analysis (LMA). Sie beschreibt, wie Menschen sich bewegen – nicht, was sie tun. Dabei unterschied Laban vier grundlegende Bewegungsfaktoren:
Raum – Bewegt sich jemand direkt oder indirekt, zielgerichtet oder erkundend?
Zeit – Schnell, plötzlich, impulsiv – oder langsam, gedehnt, kontemplativ?
Kraft – Kräftig, bestimmt, energisch – oder leicht, zart, schwebend?
Fluss – Gebunden, kontrolliert – oder frei, loslassend, improvisierend?
Diese vier so genannten Antriebe sind die „Grundelemente“ jeder Bewegung – ähnlich wie die Primärfarben in der Malerei. Aus ihnen entstehen unendlich viele Ausdrucksformen, die die Individualität und emotionale Welt eines Menschen spiegeln.
(vgl. Laban, R. v. & Lawrence, F. C. (1947): Effort: Economy in Body Movement, London: Macdonald & Evans).
Die innere Zeit – Bewegung als Rhythmus der Seele
Für Laban war Zeit kein rein physikalisches Konzept, sondern eine Qualität des Erlebens. Er beobachtete, dass Bewegung den inneren Rhythmus eines Menschen sichtbar macht – sein Tempo, seine Lebendigkeit, seine Spannungen und seine Balance zwischen Impuls und Ruhe.
In der Tanztherapie spielt dieser Gedanke eine zentrale Rolle: Wenn jemand in Bewegung „einfriert“, hetzt oder innehält, spiegelt das oft emotionale Zustände. Bewegung wird so zu einem diagnostischen und transformativen Spiegel.
Bewegung als Spiegel der Seele
Labans Bewegungsanalyse bietet ein Handwerkszeug, mit dem Therapeut:innen die Ausdrucksqualität und emotionale Dynamik von Bewegung lesen können – ohne zu interpretieren, sondern zu erleben. Sie ermöglicht u.a. einen Blick auf Abwehrmechanismen und unbewusste Muster, etwa das Festhalten, Zurückweichen oder Überkompensieren.
In der Tanztherapie kann dieser bewusste Zugang dazu beitragen, neue Bewegungs- und Lebensmöglichkeiten zu entdecken. Wer erfährt, dass er sich anders bewegen kann, erfährt auch, dass er anders fühlen und handeln kann.
Vom Analysieren zum Erleben – Kreative Arbeit mit Laban
Oft wird Laban auf seine analytischen Modelle reduziert. Doch seine Bewegungsstudien sind kein starres System. Vielmehr sind sie eine Einladung zum kreativen Erforschen.
In der Tanztherapie werden seine Prinzipien genutzt, um emotionale, körperliche und geistige Dimensionen miteinander zu verbinden. Ein „gebundener Fluss“ kann Sicherheit vermitteln, ein „freier Fluss“ kann Befreiung bedeuten. Indem Menschen zwischen diesen Polen experimentieren, finden sie neue Formen des Ausdrucks – und oft auch neue Formen des Seins.
Tanztherapie: Transformation durch Bewusstheit
Die Anwendung der Laban Movement Analysis (LMA) in der Tanztherapie ermöglicht es, über Bewegung Zugang zu inneren Prozessen zu finden. Persönliche Muster – etwa Kontrolle, Überanpassung oder Vermeidung – werden nicht „aufgelöst“, sondern durch kreative Bewegungserfahrung in Fluss gebracht.
So wird Tanztherapie zu einem Spielraum für Veränderung, in dem Menschen lernen, ihren Ausdruck zu erweitern – körperlich, emotional und geistig.
Bewegung ist gelebte Kreativität
Labans Erbe ist heute lebendiger denn je – in Tanzstudios, Theatern, Ausbildungsinstituten und therapeutischen Kontexten weltweit. Seine Bewegungsstudien lehren uns, dass Bewegung nicht nur Form, sondern Erfahrung ist.
Wenn wir tanzen, forschen wir – an uns selbst, an unserer Zeit, an unserer Lebendigkeit. Oder, um es in Labans Geist zu sagen:
Bewegung ist das Tor, durch das der Mensch in seine Freiheit tritt.



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